Die soziokratische Wahl dient dazu, eine Rolle mit e: geeigneten Kandidat:in zu besetzen. Dabei wird keine Form der Werbung oder Beeinflussung betrieben – es zählt das offen vorgetragene Argument. Dadurch schafft das Verfahren Transparenz über die Hintergründe, Überlegungen und Argumente der Nominierungen.
Eine klare und unbestrittene Rollenbeschreibung bildet die Voraussetzung für das Wählen eine: geeigneten Kandidat:in. Alle Schritte des Wahlprozesses finden in Runden statt.
Soziokratisches Grundprinzip
Zusammen mit Konsent, Kreis und doppelter Verknüpfung bildet die soziokratische Wahl ein Grundmuster der Soziokratie. Wie kein anderes verbindet sie Transparenz, Wertschätzung und Gleichberechtigung zu einer praktisch umsetzbaren Vorgehensweise für bessere Zusammenarbeit.
Kein Wettbewerb
Verbreiteter als die soziokratische Wahl sind die Mehrheitswahl sowie die Wahl durch eine Behörde oder eine:n Vorgesetzte:n. Beide teilen eine entscheidende Schwäche: Kandidierende müsse, ähnlich einem Schönheitswettbewerb, sich bewerben und anpreisen, sich hervorheben und allfällige Konkurrenz herabwürdigen. Dadurch entsteht ein Klima der Konkurrenz und des Misstrauens – mitunter die bewährtesten Gegenmittel für gelingende Zusammenarbeit.
Die soziokratische Wahl betont das gemeinsame Interesse an der Aufgabenerfüllung. Sie lädt dazu ein, Möglichkeiten gemeinsam auszuloten und die unterschiedlichen Sichtweisen zum gemeinsamen Bild zusammenzufügen. Aus diesem Grund werden im Vorfeld keine Kandidaturen erwogen, abgesprochen oder bekannt gegeben.
Persönliche Entwicklung
Eine wichtige Aufgabe der Unternehmensführung besteht darin, die Entwicklung der Mitarbeiter:innen zu unterstützen und so nicht nur die Mitarbeiter:innenzufriedenheit zu stärken, sondern auch das Potenzial engagierter Mitwirkung für das Unternehmen zu erschliessen.
In der soziokratischen Wahl teilen die Kreismitglieder mit ihrer Argumentation wertvolles Feedback über die von ihnen wahrgenommenen Stärken und Potenziale der durch sie Nominierten. Dabei können sie ihre Nominierungen mit Argumenten begründen, die sich nicht allein auf die fachliche Eignung stützen. So können Entwicklungsmöglichkeiten, Überlegungen zur Arbeitsbelastung oder zur inhaltlichen Ergänzung oder Erweiterung in die Argumentation einfliessen.
Die gegenseitige Nominierung öffnet den Weg zu Rollenbesetzungen, die ihr:e neue Inhaber:in sich zunächst vielleicht nicht zugetraut hätte. Damit bildet die soziokratische Wahl ein mächtiges Werkzeug zur Schaffung inklusiver und vielfältiger Organisationen.
Wählt mich!
Dabei ist es mehr als legitim, sich selbst für eine Rolle zu nominieren. Das persönliche Interesse, eine Aufgabe zu übernehmen, schafft oft gute Voraussetzungen, sie gut auszufüllen. Das Wahlverfahren bildet einen geeigneten Rahmen, auch in diesem Fall die entsprechenden Überlegungen einzubringen und zu reflektieren.
Wählt mich nicht!
Umgekehrt soll normalerweise niemand zur Annahme einer Wahl gezwungen werden. Wer die eigene Nominierung nach dem Hören der zugrundeliegenden Überlegungen und nach dem Teilen relevanter Informationen ablehnt, und trotz dieser Ablehnung nominiert wird, kann sie spätestens in der Konsent-Runde einen entsprechenden Einwand geltend machen.
Rahmenbedingungen
Die Wahlentscheidung unterliegt, wie jede Entscheidung, einzuhaltenden Rahmenbedingungen. So gibt es Aufgaben, für die eine bestimmte Zertifizierung, ein Ausweis, ein bestimmtes Lebens- oder Dienstalter oder andere Kriterien einzuhalten sind. Diese werden in der Rollenbeschreibung festgehalten und bilden somit eine Grundlage des ganzen Wahlverfahrens.
Gut genug
Eine Wahl ist eine Entscheidung mit Auswirkungen auf die Zukunft. Als solche ist sie mit Ungewissheit behaftet. Sie kann nicht richtig oder falsch sein, denn ihre Zweckmässigkeit wird sich bestenfalls im Nachhinein beurteilen lassen. Dennoch geben Mehrheitswahlen ebenso wie Rollenbesetzungen «von oben» vor, in einem fairen Wettbewerb d: beste:n Kandidat:in zu küren – ein Anspruch, den sie nicht erfüllen können.
Die soziokratische Wahl ist demgegenüber ein Konsent-Entscheidungsverfahren mit dem Anspruch, eine Rollenbesetzung zu ermitteln, die gut genug für den Moment und sicher genug für einen Versuch ist. Was nach einem bescheidenen Anspruch klingt, ist tatsächlich ein grosses Versprechen, das andere Verfahren regelmässig unterbieten.
Insbesondere sichert die soziokratische Wahl systematisch die Berücksichtigung unterschiedlicher Gesichtspunkte in der Bewertung der Nominierungen. Durch den Beitrag aller Kreismitglieder können Aspekte zum Tragen kommen, die ein:e Kandidat:in, Vorgesetzte:r oder das Wahlgremium – bewusst oder unbewusst – nicht berücksichtigt hätten. Die soziokratische Wahl ist dadurch vielleicht sogar der erfolgversprechendste Ansatz, eine unter vielfältigen Gesichtspunkten umfassend gute Wahl zu treffen.
Nur Gewinner:innen
Wo kein Wettbewerb eine:n Gewinner:in kürt, resultieren auch keine Unterlegenen. Stattdessen gewinnen alle: Die Wählenden haben nicht nur eine Rolle besetzt, sondern wertvolle Rückmeldung und Ansichten ausgetauscht. Dadurch entsteht neue Klarheit sowohl über die Rolle als auch über die gemeinsame Aufgabe.
D: Neugewählte tritt seine:ihre Aufgabe an, ohne den Druck, die selbst geschürten und überzogenen Erwartungen erfüllen zu müssen. Stattdessen bilden die gesammelten Argumente für die Nominierung einen unschätzbaren Startvorteil als Ausdruck entgegengebrachten Vertrauens.