Gleiche Rechte für alle – eine Revolution in deiner Organisation?

Vor 220 Jahren schuf ein Zivilgesetzbuch erstmals gleiche Rechte für alle – ein Erfolgsmodell! Zeit für Gleichberechtigung im Unternehmen!
Künstlich-künstlerische Darstellung in schwarzer Tusche einer Gruppe historischer Figuren rund um Napoleon, Josephine und den Code civil des Français als Einführung der Idee gleicher Rechte für alle.

Der Grundsatz «gleiches Recht für alle» ist ein Grundpfeiler der liberalen Demokratie. Damit ist er ein Erfolgsfaktor für Innovation, Prosperität und Wohlfahrt. Anders als der demokratische Staat sind Organisationen in Privatwirtschaft, NPO und öffentlicher Verwaltung weiterhin von hierarchischen Machtstrukturen geprägt, die Verantwortlichkeit und Einflussnahme «von oben» steuern. Ein Anachronismus, den wir heute überwinden sollten! Wird es Zeit für gleiche Rechte im Unternehmen?

220 Jahre Rechtsstaat

Zum Frühlingsanfang 1804 trat der «Code civil des Français» in Kraft – das erste Gesetz1Genauer: das erste überlieferte Gesetz in der europäischen Geschichte zum damaligen Zeitpunkt., das gleiche Rechte für alle schuf. Es vereinte und ersetzte im damaligen französischen Hoheitsgebiet eine Vielzahl unterschiedlicher und teils widersprüchlicher Rechtssysteme. Damit beeinflusste es bald die rechtliche Entwicklung weltweit. Das Gesetz, das nach seinem Architekten später auch «Code Napoléon» genannt wurde, blieb bis heute prägend für unsere Gesellschaft.

Gegen Trägheit und Widerstand

Die Einführung eines einheitlichen Gesetzes war im damaligen Grossreich geradezu unausweichlich geworden. Denn das Rechtssystem war aufgrund der geografischen Ausdehnung ohnehin fragmentiert, durch lokale Eigenheiten zusätzlich differenziert und durch das Kirchenrecht überlagert. Hinzu kamen mit der Französischen Revolution eingeführte punktuelle Anpassungen. Die Rechtslage war unübersichtlich.

Dennoch scheiterten mehrere Versuche zur Erschaffung eines einheitlichen Zivilrechts. Denn einerseits war die Aufgabe riesig, mehrere bestehende Systeme zu vereinen. Zum anderen bremsten Partikularinteressen die Bemühungen, gleiches Recht für alle zu schaffen. Gleichstellung bedeutete auch in diesem Fall für einige die Aufgabe von Privilegien, was entsprechenden Widerstand auslöste, der überwunden werden musste.

Vernünftig und gerecht

Doch der Wille zur Modernisierung setzte sich durch.

Am Ende dieses Prozesses stand ein einheitliches Gesetz für alle. Es bezog seine Legitimation nicht aus seiner göttlichen oder königlichen Herkunft, sondern aus einem aufklärerischen Anspruch auf Vernunft und Gerechtigkeit. Dazu gehörte, dass das Gesetz in allgemein verständlicher Sprache abgefasst und dadurch auch tatsächlich breiten Schichten zugänglich war.

Denn wir sind nicht gleich

Gerade weil wir als Menschen unterschiedlich sind, muss eine gemeinsame Ordnung gerechte Verhältnisse für alle sicherstellen. Sie schafft den Rahmen für die Verwirklichung unterschiedlicher Möglichkeiten und Bedürfnisse.

Die alten Ideale einer feudalistischen Ordnung unter göttlich autorisierter Rechtsetzung entsprachen der gesellschaftlichen Realität nicht mehr. Die Aufklärung hatte die universelle Würde des Menschen ebenso bewusst gemacht wie seine prinzipielle Fähigkeit, Verantwortung für sein Denken und Handeln zu tragen.

Schrittweise Weiterentwicklung

Wie wir wissen, waren Frankreich oder seine Demokratie auch nach Inkrafttreten des Code Napoléon alles andere als perfekt. Dasselbe gilt für die vielen Staaten, die ihre eigene Gesetzgebung darauf gründeten. Frauen blieben benachteiligt, Sklaverei erlaubt. Doch Schritt für Schritt wurden und werden die Gesetze angepasst und verbessert, um die gesellschaftliche Entwicklung abzubilden und zu unterstützen.

Bei aller Fehlerhaftigkeit, und trotz zunächst wohl auch einzelner Rückschritte, markiert die Umsetzung einer von Stand und Herkunft unabhängige, säkulare Ordnung einen Durchbruch in der damaligen geschichtlichen Entwicklung.

Mitbestimmung und Mitwirkung

Zumindest in einer westlich geprägten Weltsicht erweist Rechtsstaatlichkeit sich heute als eine notwendige Bedingung für ein freies, pluralistisches Zusammenleben unter demokratischer Mitbestimmung und Mitgestaltung, die vernünftigerweise nicht infrage gestellt wird. Wir gehen davon aus, dass vor dem Recht alle gleich sein sollen, weil die darauf begründete freiheitliche Ordnung die am wenigsten schlechten Voraussetzungen für Wohlstand und Wohlfahrt schafft.

Warum beginnt dasselbe Erfolgsrezept erst in den fortschrittlichsten Unternehmen Fuss zu fassen?

Rechtsstaatlichkeit im Unternehmen

Auch Organisationen in Unternehmen, Verwaltung und NPO stellen zunehmend fest: Es ergibt heute keinen Sinn mehr, ihre Mitglieder als menschliche Ressourcen in der Umsetzung vorgefertigter Pläne einzusetzen. Dass eine Mehrheit der Arbeitstätigen lediglich zur Ausführung «weiter oben» getroffener Entscheidungen in der Lage sei, wurde längst als Mythos entlarvt. In fast alle Organisationen bringen bestens ausgebildete Fachleute mit Lebens- und Arbeitserfahrung ihre jeweiligen Perspektiven ein, um gemeinsam die Vielfalt und Vielschichtigkeit der gemeinsamen Aufgabe zu verstehen.

Mehr Augenpaare sehen mehr. Aus welchem Grund sollte ein Unternehmen auf diese Einsichten verzichten?

Überforderung der Hierarchie

Die Organisation kann dieses Potenzial nur insoweit nutzen, als es ihr gelingt, die unterschiedlichen Beiträge ihrer Mitglieder gleichberechtigt und effizient einzubringen. Sie muss in der Lage sein, Überlegungen unabhängig davon zu prüfen, wer sie einbringt. Doch viel zu häufig verpufft dieses Potenzial ungenutzt in Ärger und Enttäuschung.

Denn die verbreitete, von oben hierarchisch und bürokratisch geführte Organisation entspricht in dieser Hinsicht stärker einer feudalistischen Ordnung als einem aufklärerischen Rechtsstaat. Die sprichwörtlichen «kleinen Königreiche», die im Dickicht mancher Bürokratie gedeihen, weisen darauf hin. Ebenso der Begriff der «Hierarchie» selbst, der sich mit «heilige Herrschaft» oder «göttliche Ordnung» übersetzen liesse. Er bedeutet, dass einige über andere verfügen und an ihrer Stelle entscheiden. Das wiederum bedeutet, dass echte Mitgestaltung und Mitverantwortung faktisch unmöglich bleiben.

Mit anderen Worten: Das alte System erfüllt seinen Zweck nicht mehr. Gibt es nicht etwas Besseres?

Soziokratie

Ungefähr zeitgleich mit der Französischen Revolution und dem Code Napoléon wurde der Begriff der Soziokratie geprägt. Doch erst in den 1970er Jahren wurde die «Herrschaft der sozialen Gruppe» als Organisationsform selbstorganisierender Netzwerke beschrieben und erprobt. Der Elektroingenieur Gerard Endenburg führte unter dem Titel «Soziokratische Kreisorganisationsmethode» die Praxis und Ideale seiner Schulzeit mit Erkenntnissen und Überlegungen aus der Elektrotechnik und Kybernetik zusammen.

Diese erste Soziokratie führte den Nachweis, dass Mitgestaltung und Mitverantwortung durch alle Mitglieder der Organisation in allen Bereichen nicht nur möglich, sondern vorteilhaft ist. Seither entwickelte sie sich weiter. Holacracy brachte unter anderem erstmals eine Art Grundgesetz ins Spiel, das, analog zum Code civil, gleiche Normen für alle Mitglieder der Organisation festlegt. Und Sociocracy 3.0 ergänzte Überlegungen zur schrittweisen und bedarfsgesteuerten Entwicklung einer soziokratisch geprägten Organisationsform.

Alles liegt bereit, um Organisationen zu schaffen, die auf gleichen Rechten beruht. Was hält deine Organisation jetzt davon ab?

Fussnoten

  • 1
    Genauer: das erste überlieferte Gesetz in der europäischen Geschichte zum damaligen Zeitpunkt.
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