Der Fachkräftemangel gilt in vielen Branchen als wachsendes Problem. Woher sollen wir die Programmierer:innen, die Pflegekräfte, die Hausärzt:innen nehmen, die unsere Gesellschaft am Laufen halten? Die Schuldigen für das angebliche Fehlen benötigter Arbeitskräfte werden überall gesucht: Die Politik steuere die Einwanderung falsch, die Bildungsstätten produzierten nicht die benötigten Absolvent:innen, Generation Z sei nicht leistungsbereit, Generation X arbeite zu viel in Teilzeit. Was können die Arbeitgeber:innen tun? Verursachen sie die Knappheit gar selbst?
Anstatt den Fachkräftemangel zu beklagen, könnten wir darüber nachdenken, wie Organisationen das Engagement ihrer Mitglieder fördern können.
Motivation und Engagement
Denn wenn in der Schweiz 10 von 11 Angestellten weitgehend unmotiviert ihre Arbeitszeit hinter sich bringen, bedeutet das für die Unternehmen, NPO und Verwaltungen, die sie beschäftigen, kolossale Verschwendung. Und genau das behauptet die vom Beratungsunternehmen Gallup jährlich durchgeführte, weltweite Studie zum Zustand der Arbeitsplatzsituation1Gallup State of the Global Workplace annual report. Vor wenigen Wochen erschienen die aktuellen Zahlen für 2024.
Bestens ausgebildete Mitarbeitende haben ihren Beruf frei gewählt und möchten etwas darin bewirken. Doch konventionelles Management verbaut den Weg zur engagierten Mitwirkung: Vorschriften, Leistungsbeurteilung, Erlaubnis, Bestrafung, Dienstweg. Die Folge: Rückzug auf einen Dienst nach Vorschrift. Welchen Plan hat deine Organisation, um stattdessen das volle Potenzial der Mitarbeiter:innen nutzbar zu machen?
Innere Kündigung
In der Konsequenz geben, laut aktueller Studie, mittlerweile noch 9 % der Arbeitstätigen in der Schweiz an, mit vollem Engagement bei der Arbeit zu sein. Nur jede:r Elfte blüht auf, lernt, bringt sich ein. Dieser Wert ist sehr tief, auch im europäischen und Weltvergleich, und er ist sinkend. In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels von 2023 standen an dieser Stelle noch 11 %. Die Schweiz befindet sich damit auf Platz 35 von 38 in Europa.
Das Gros der Arbeitstätigen in der Schweiz hat innerlich gekündigt. Sie schieben Dienst nach Vorschrift, verdienen damit das Geld zum Leben und für eine Freizeit, in der sie ihre Menschlichkeit, ihre Kreativität und ihren Durchhaltewillen zur Geltung bringen. Das ist traurig und hat, immer Gallup zufolge, milliardenschwere Folgen für die Unternehmen.
Organisation für Engagement
Das liegt nicht daran, dass die Menschen zunehmend faul, satt oder selbstzufrieden würden. Und es hat aus organisatorischer Sicht auch überhaupt keinen Wert, darüber nachzudenken, die Menschen zu verändern. Denn offensichtlich versagen die Organisationen, und sie haben es in der Hand, bessere Bedingungen zu schaffen.
Was würde aus dem Fachkräftemangel, wenn auch nur ein kleiner Teil der Belegschaft neue Motivation in ihrer Arbeit finden würde? Wird es uns gelingen, Organisationen zu schaffen, die allen ihren Mitgliedern Raum für volles Engagement geben?
Produktivität der Wissensarbeit
Peter Drucker nannte es die Herausforderung des Managements im 21. Jahrhundert: Die Wissensarbeit produktiv zu machen. Seither wurde umfangreich geforscht und experimentiert. Unter Titeln wie Learning Organization, Beyond Budgeting, Agile und Agilität – oder ganz ohne Markenzeichen – erzielt eine wachsende Zahl von Unternehmen beachtliche Erfolge auf dem Weg zu neuer Produktivität in der Wissensarbeit.
Command-and-Control, machthierarchisch legitimierte Weisungsbefugnis und eine Menge damit verbundener Relikte der industriellen Frühzeit des «Managements» sind derweil alles andere als verschwunden. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen «managt» und «führt» ihre bestens ausgebildeten Mitarbeiter:innen nach veralteten Muster. Und schafft so selbst den Fachkräftemangel, den sie beklagt.
Fussnoten
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