Agilität

Agilität ist die Fähigkeit, die Organisation schnell und angemessen an Veränderung anzupassen. Software-Teams waren unter den Ersten, die dafür geeignete Vorgehensmodelle entwickelten. Inzwischen ist organisatorische Agilität überall. Die sogenannten agilen Methoden können Unterstützung darin bieten, sie zu entwickeln.

Vom dressierten Vierbeiner bis zum Lieferwagen schmückt das Attribut der Agilität alles Mögliche. Im Kontext der agilen Software-Entwicklung wurde der Begriff vor zwanzig Jahren geprägt, als eine Gruppe von Software-Managern sich zum Austausch über Projektmethoden traf. Im Ergebnis entstand das Manifest für agile Software-Entwicklung, das als Gründerdokument einer Bewegung gesehen werden muss. Diese erfasste in kurzer Zeit weite Teile der Software-Welt und dringt inzwischen in viele weitere Bereiche hochqualifizierter Wissensarbeit vor.

Organisation schnell und angemessen an Veränderung anzupassen: Manifesto for Agile Software Development

We are uncovering better ways of developing
software by doing it and helping others do it.
Through this work we have come to value:

Individuals and interactions over processes and tools
Working software over comprehensive documentation
Customer collaboration over contract negotiation
Responding to change over following a plan

That is, while there is value in the items on
the right, we value the items on the left more.

Das Agile Manifest hält vier Gegenüberstellungen fest, die den angestrebten Wandel der Führungspraxis beschreiben. Als mindestens genauso prägend dürfte sich über die Jahre jedoch das ausgewirkt haben, was davor und danach im Text steht: Aus unserer Praxis entstehen Erkenntnisse, die wir in gegenseitiger Unterstützung teilen; wir verdammen das Hergebrachte nicht, aber für uns hat ein neuer Fokus sich als hilfreicher erwiesen.

Auch wenn mit dem Begriff mitunter viel Unfug getrieben wird, bleibt der nüchterne, bescheidene und rationale Zugang kennzeichnend für agile Arbeitsweisen. Womit wir bei den Methoden wären.

Agile Methoden

Scrum, Extreme Programming (XP) und andere Methoden gingen dem Agilen Manifest voran. Andere kamen seither hinzu. Eine Sonderrolle nimmt Kanban ein, das sich zunächst separat und mit einem anderen Fokus entwickelte. Trotzdem wird es, mit einiger Berechtigung, wie wir finden, häufig unter die agilen Methoden eingereiht.

Das ist gerade auch deshalb relevant, weil die Methoden für Agilität letztlich eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Sie geben uns halt, sie ermöglichen Lernen, aber ihre Umsetzung erzeugt keine Agilität. Die tatsächliche Veränderung ergibt sich aus einem Perspektivenwechsel – fort vom Ressourcen-Management, hin zur Wert-Schöpfung. Agile Methoden können uns darin unterstützen, diesen Weg erfolgreich zu gehen.

Skalierte Agilität

Agilität im grossen Stil über eine Organisation auszubreiten (oder darüber «auszurollen») ist ein verbreiteter Wunsch und verständliches Bedürfnis. Die Vorstellung, durch die grossflächige Einführung neuer Prozessmodelle den oben dargestellten Perspektivenwechsel auf breiter Basis zu erreichen und dadurch die Organisation schnell und angemessen an Veränderung anzupassen, stellt sich immer wieder als Illusion heraus. Dieser Ansatz selbst ist Beweis für dieses Misslingen.

Organisation schnell und angemessen an Veränderung anzupassen

Eine Organisation ist ein komplexes dynamisches System. Sie lässt sich nicht am Reissbrett entwerfen oder durch planmässige Reorganisation gezielt ändern.

Ein komplexes System, das funktioniert, hat sich ausnahmslos aus einem einfachen, funktionierenden System entwickelt. Ein komplexes System, das von Grund auf neu entworfen wurde, funktioniert nie und kann nicht durch Flicken zum Funktionieren gebracht werden. Sie müssen mit einem funktionierenden einfachen System neu beginnen.

Galls Gesetz – John Gall

Organisatorische Agilität bedeutet, funktionierende Abläufe schrittweisen Lernens in der gesamten Organisation zu entwickeln, die alle Mitarbeiter:innen darin unterstützen, ihre Fragen und Erkenntnisse zum kollektiven Wohl in die gemeinsame Arbeit einfliessen zu lassen. Kanban spricht dabei von Leadership auf jeder Ebene. In Sociocracy 3.0 bildet dieses Konzept unter dem Begriff nach Spannung navigieren einen Grundpfeiler.

Über das agile Manifest hinaus

Die vorwitzige Frage «was kommt nach Agile» zielt am Kern vorbei; denn Agilität – die Fähigkeit, schnell und adäquat auf Veränderungen zu reagieren – war vor dem agilen Manifest überlebenswichtig und wird es bleiben. Einige der als agil bezeichneten Methoden gaben uns neue Werkzeuge, mit Unvorhersehbarkeit und rasantem Wandel umzugehen.

Da ist es geradezu folgerichtig, die gemeinsamen Grundlagen gelegentlicher Überprüfung zu unterziehen. Zahlreiche Initiativen sind angetreten, das Agile Manifest zu präzisieren oder aktualisieren. Erwähnenswert sind hier Heart of Agile des Agile-Manifesto-Mitunterzeichners Alistair Cockburn sowie Modern Agile.

Beide bauen offensichtlich auf dem Gründerdokument auf und präzisieren es im Hinblick auf eine seiner Hauptbotschaften: Gute Arbeit entsteht in der psychologischen Sicherheit und menschlicher Verbundenheit guter Teams.

Und auch die Ausweitung der agilen Idee auf Managementbereiche ausserhalb der Software-Entwicklung weckt das Bedürfnis, entsprechende Übersetzungen zu formulieren. Dies geschieht zahlreich, für Produktion, Personalwesen, Design-Entwicklung und andere Spezialisierungen. Das Responsive Org Manifesto spannt den Bogen auf und postuliert einen umfassenden Perspektivenwechsel im Sinne der organisatorischen Agilität.