Uns allen passieren Missgeschicke und wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wir arbeiten täglich in neuen Situationen, in denen wir somit unerfahren sind. Das führt dazu, dass wir uns an Vorgaben klammern, dass wir Fehler machen, dass wir schlecht entscheiden. Und doch stimmt es nachdenklich, dass eine geheimdienstliche Sabotage-Anleitung aus dem Zweiten Weltkrieg sich in weiten Teilen liest, als wäre sie zum besseren Verständnis moderner Unternehmen verfasst worden: das Simple Sabotage Field Manual.
Anleitung zur schleichenden Schädigung
Das Simple Sabotage Field Manual wurde während des Zweiten Weltkriegs vom US-Amerikanischen Geheimdienst CIA verfasst. Es sollte Regimegegner:innen in Deutschland und seinen besetzten Gebieten Anleitung dazu geben, die deutsche Kriegsmaschinerie zu verlangsamen, ohne sich dadurch selbst in Gefahr zu begeben. Diese Anleitung beschreibt minimale Interventionen, mit denen Saboteur:innen beispielsweise Entscheidungsprozesse verlangsamen, Werkzeuge schädigen oder Abläufe behindern können. Viele dieser Kniffe erforderten nicht, dass Unerlaubtes getan wurde, sondern das Gegenteil: Die pedantische Umsetzung geltender Regeln kann die Effizienz und Produktivität ernsthaft beschädigen.
Alles, was Recht ist
Wenn Kolleg:innen sich an geltende Regeln halten, ist das zunächst zu begrüssen – eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wird dadurch erst möglich. Aber wir alle kennen die Momente, wo man sich fragen muss: Ist das noch sinnvoll?
Hold conferences when there is more critical work to be done.
Das Simple Sabotage Field Manual1U.S. Central Intelligence Agency, 1944: Simple Sabotage Field Manual. United States. War Department. Strategic Services Unit. gibt umfangreiche Anleitung, wie Führungskräfte und Angestellte die Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe, in denen sie arbeiten, mit einfachen Mitteln wirksam schädigen können. Auch für Transportwesen, Post, Telekommunikation, Unterhaltungsindustrie und Rundfunk weiss das Handbuch in jeweils eigenen Abschnitten Rat.
Sabotagein Führung und Arbeit
Kaptitel 11, Allgemeine Eingriffe in Organisationen und Produktion, weist in über drei Dutzend Punkten Besprechungsteilnehmer:innen, Führungskräfte, Büroangestellte und Mitarbeiter:innen an, wie sie ihre Interaktionen mit einfachen Kniffen ins Unerträgliche verlangsamen.
Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend zu erklären ist.
Viele der hier erwähnten Taktiken «bewähren» sich im bürokratisch geprägten Alltag so mancher Organisation und werfen Zweifel an Hanlon’s Rasiermesser auf: Ist hier wirklich kein böser Wille im Spiel? Eine Auswahl:
- Bestehen Sie darauf, alles auf dem «Dienstweg» zu erledigen. Lassen Sie niemals zu, dass Abkürzungen genommen werden, um Entscheidungen zu beschleunigen.
- Bringen Sie irrelevante Themen so häufig wie möglich zur Sprache.
- Plädieren Sie für «Vorsicht». Seien Sie «vernünftig» und fordern Sie Ihre Gesprächspartner auf, «vernünftig» zu sein und Eile zu vermeiden, die später zu Peinlichkeiten oder Schwierigkeiten führen könnte.
- Vervielfachen Sie Papierkram auf plausible Weise. Starten Sie doppelte Dateien.
- Wenden Sie alle Vorschriften bis zum letzten Buchstaben an.
- Sie verbreiten beunruhigende Gerüchte, die sich wie Insider-Drogen anhören.
- Machen Sie Ihre Arbeit schlecht und schieben Sie es auf schlechte Werkzeuge, Maschinen oder Geräte. Beschweren Sie sich, dass diese Dinge Sie daran hindern, Ihre Arbeit richtig zu machen.
- Geben Sie Ihre Fähigkeiten und Erfahrungen niemals an einen neuen oder weniger fähigen Mitarbeiter weiter.
Das Büchlein schliesst mit einem Kapitel über die allgemeine Senkung der Moral, die sich in einigen Punkten überwiegend spezifisch auf die Sabotage Nazideutschlands bezieht. Aber «Act stupid» funktioniert immer.
Sabotage abwehren
Funktionieren diese Formen der Sabotage in jeder Organisation? Eine Voraussetzung scheint unabdingbar zu sein, damit Mitarbeiter:innen Regeln ad absurdum führen können: Die Regeln müssen ihnen auferlegt worden sein. Niemand kann plausibel vertreten, eine sinnlose Regel auszureizen, die sie mit beschlossen hat oder deren Anpassung er nötigenfalls auslösen könnte.
Selbstorganisation im soziokratischen Sinn ist dadurch weitgehend vor Sabotage nach Anleitung des Simple Sabotage Field Manual geschützt – unabhängig davon, vor böswilliger wie versehentlicher.
Fussnoten
- 1U.S. Central Intelligence Agency, 1944: Simple Sabotage Field Manual. United States. War Department. Strategic Services Unit.